Multitasking Mountain Mama

Skitouren sind ein Trendsport. Mit dem Skibergsteigen bekommt der Hype ab den Winterspielen 2026 im italienischen Cortina d`Ampezzo nun auch eine Bühne bei Olympia. Mit knüppelharten, steilen Aufstiegen und halsbrecherischen Abfahrten auf anspruchsvollstem Gelände hat die extrem harte Wintersportart des Skimountaineering, kurz Skimo, definitiv das Zeug dazu die neue Königsdisziplin zu werden. Johanna Hiemer trainiert hart für die Olympia-Premiere der anspruchsvollen Wintersportart, die sie schon seit ihrer Kindheit fasziniert. 

Die Mischung aus ausdauerndem Hochsteigen, technischen Anforderungen und anspruchsvollen Abfahrten, das mache den Sport für die 29-jährige Spitzensportlerin so faszinierend. Schon mit fünf Jahren gings gemeinsam mit den Eltern auf den Hausberg in Schladming. Damals noch mit langen Langlaufskiern auf einem breiten Forstweg bergauf und mit der Gondel gemütlich zurück ins Tal. Im Alter von sieben Jahren überquerte Johanna mit ihrer Familie bereits das imposante Dachsteinmassiv. Eine Tour, über die Johanna ebenso ins Schwärmen gerät, wie wenn sie über ihr erstes GaudiSkirennen erzählt, bei dem sie als Teenager „just for fun“ in Schladming an den Start ging. Wenn sie davon erzählt, funkeln ihre wachen Augen noch heute und in ihrem herrlich markanten Dialekt schwingen bei jeder Silbe Ehrgefühl und Passion mit.

Schule, Studium und Spitzensport 

Eine Gaudi war ihre Schulzeit an der Sportleistungsschule im Leistungszweig Langlauf jedoch nicht. Im Gegenteil: Es war die Hölle, die reinste Qual. Tagein, tagaus. „Vier Jahre lang habe ich, mit Verlaub, ständig „eine auf die Fresse“ bekommen. Von Trainern als auch von meinen Mitschülern. Doch Aufgeben war für mich keine Option.“ Wenn Johanna auf ihre schwere Internatszeit zurückblickt, kämpft sie noch heute ab und an mit den Tränen. „Es war ein purer Kampf ums Überleben.“ Dass sie kämpfen und abliefern kann, zeigte sie allen kurz vor ihrem Abschlussjahr mit einer Spitzenleistung beim härtesten Triathlon der Welt, dem sog. „Ironman“ und dem darauffolgenden Wechsel in den Skitourenkader. Beides waren wichtige Schlüsselmomente, um sportliches und persönliches Selbstvertrauen zu erlangen. Johanna kehrte von der Seitenlinie erfolgreich zurück ins Spiel und von dort aus dann meist auch direkt aufs Siegerpodest. Mit schnellen, zielführenden Streckenetappen schloss Johanna schließlich auch im Studium der Rechtswissenschaften in Rekordzeit ab, heiratete Ehemann Lukas und zog ins Allgäu, wo bereits kurze Zeit später ihre beiden Buben Emil und Paul das Licht der Welt erblickten.

Mehrere Skifahrer in roten Outfits erklimmen unter einem klaren blauen Himmel einen schneebedeckten Berg, mit felsigen Gipfeln im Hintergrund und der hell scheinenden Sonne.

Spitzensport und Spielenachmittag 

Tempo und Timing beherrscht Johanna aus dem Effeff. Nur so meistert sie auch ihren Alltag als junge Mutter und Spitzensportlerin. Ihr Trainingsplan richtet sich nach ihrer Familie und variiert zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche mit nur einem Regenerationstag. So klingelt bereits um 5 Uhr morgens bei Familie Hiemer in Füssen der Wecker. Dann heißt es raus aus den Federn und ab in die Sportklamotten für die erste Sporteinheit. Danach eine schnelle Dusche, ein gemeinsames Frühstück und zack-zack die Kids in die Kita bringen. Auf dem Rückweg ein kurzer Stopover im Supermarkt, um frische Zutaten fürs Mittagessen zu besorgen, den Haushalt zu erledigen, damit anschließend gemeinsam gegessen werden kann. Diese Quality-Time mit ihren drei Herren ist Johanna ebenso heilig wie eine gute Tasse Kafee und ein kurzer Powernap. Denn zum Nachtisch gibt`s bereits die zweite Trainingsrunde gefolgt von etwas Playtime mit den Kids und ein kurzes Zeitfenster für private Termine bevor meist schon vor zehn Uhr am Abend im Hause Hiemer das Licht ausgeht.

Heute zählt jedes Hundertstel! 

Und alles reduziert: die superleichten, schmalen SpeedSkier und Spezial-Skischuhe, ihre hautengen und superdünnen Rennanzüge. Maximal hingegen sind die erforderliche Ausdauerleistung und mentale Stärke, die es braucht, um auch unter widrigsten Schnee- und Wetterbedingungen im freien Gelände abseits präparierter Pisten zu bestehen. Und bei der rasanten Kursabfolge auf Zeit bei Aufstieg, Abfahrt und Wechsel – also die Felle an die Skier zu kleben oder abzuziehen – immer gegen die Zeit. Tempo ist alles. Allein der Fellwechsel kann über Sieg und Niederlage entscheiden und muss eigens trainiert werden. Auch im Sommer ohne Schnee, dann mit Stoppuhr im familieneigenen Sportstudio. Der Spagat zwischen Kindern und Karriere unter einen Hut zu kriegen ist für Hochleistungssportlerinnen oft extrem schwierig. Johanna weiß, wer in der Weltspitze mithalten will, muss alles geben und flexibel sein. Ehrgeizig ist sie sowieso, aber auch herrlich herzerfrischend und humorvoll. Eine echte Rakete, die selbst bei Höhenflügen nie die Bodenhaftung verliert und für Ziellandungen auch Streckenplanänderungen in Kauf nimmt. Die Steilaufstiege genauso beherrscht wie rasante Landepassagen. Die bei ihrer Familie und Freunden auftankt, mit ihren Teamkollegen und Trainern Start und Landung perfektioniert, um bei Olympia 2026 richtig durchzustarten. Für ihren „one moment in time“ – when she`ll be racing with destiny.

Die Skifahrerin Johanna Hiemer im roten Outfit streckt an der Ziellinie der ISMF-Weltmeisterschaft jubelnd die Arme in die Höhe, im Hintergrund sind Berge und Veranstaltungszelte zu sehen.