Ein wilder Vogel und die weite Welt von oben

Zieh Leine! 

Er träumte schon als kleines Kind vom Fliegen. Auf der Startrampe in Schwangau: Rechts hunderte Meter schräg in die Tiefe, links Steilhang. Kurze Zeit und wenige Schritte später hob er das erste Mal so richtig ab. Seitdem dreht er regelmäßig in der Thermik auf und genießt den Perspektivenwechsel und den vogelgleichen Blick hinab ins Tal. Als ausgebildeter Pilot und Fluglehrer. All das weitab von Stress und Hektik fliegt er mit leichtem Zug an seinen Steuerleinen mit den Vögeln auf der ganzen Welt gern mal um die Wette. Waghalsige Manöver inklusive, wie man an seinem Fliegerstammtisch noch heute erzählt. „Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen!“, zitiert er dabei augenzwinkernd und mit einem schelmischen Grinsen die Musiklegende John Lennon. Ein wilder Vogel war er schon immer, oder wie man im Allgäu sagt, ein wilder Hund. 

Von harten Hockeyspielen und schnellen Skikurven 

Sein Vater war bereits eine Eishockeylegende: So standen Schlittschuh und Skischuh nebeneinander in der Garage. Sportlich gesehen lebte sich Hartis Vater nicht beim Gleitschirmfliegen aus, sondern auf dem Eis: Im Jugendalter spielte er für seinen Heimatverein (EV Füssen), später wechselte er zum Oberligisten des FC Bayern Münchens, wo er zeitgleich die Meisterschule besuchte und seinen beruflichen Abschluss machte. 1968 gelang seinem Team nochmals ein Schritt „nach oben“ in die Bundesliga. Selbst bei den olympischen Spielen wirkte Hartl aktiv mit. Aufstieg statt Aufwind. Sein Sohn Harti sollte in die Fußstapfen seines Vaters treten. Nach seiner Ausbildung bei Firma Bihler dessen Elektrobetrieb in Füssen übernehmen. Zu Kindheitstagen spielte Harti selbst Eishockey in Füssen, was „ganz normal für Kinder und Jugendliche aus Füssen war“. Auch nahm er an Skirennen teil. Das olympische Motto „Citius, altius, fortius – schneller, höher, stärker“ könnte glatt von ihm stammen. Denn Performance ist für ihn alles und einen sportiven Perspektivenwechsel braucht er wie den Aufwind beim Fliegen. Doch Harti entschied sich anders. Für ein Leben hoch oben in den Lüften. Ein Leben aus der Vogelperspektive.

Daniel Spitzer fliegt mit dem Gleitschirm über ein Waldgebiet, unter ihn ist das Schloss Neuschwanstein zu sehen, und ein Selfie mit einem Selfie-Stick macht.

Ein Leben im „Flow“ 

Zum „Fliegen“ kam Harti im Jahre 1979 im Alter von 14 Jahren. Mit Schulkameraden wurden am Füssener Galgenbichl die ersten kleinen Sprünge und Flugeinheiten gewagt. Zu der Zeit, als es noch weniger Vorgaben und Kontrollen gab. Sein Vater war zu dieser Zeit ein guter „Spezl“ von Christoph Müller. Christoph und Hartis Vater flogen damals viel gemeinsam. Christoph Müller ist Mitinhaber des Hotel Müllers in Hohenschwangau als ebenso auch Geschäftsführer des ortsansässigen Kutschenbetriebs. Es lag eine Vielzahl an Gerätschaften in der heimischen Garage parat. Harti nahm sich, was er brauchte und los ging’s – ohne vorangehende Flugstunden, Theorie oder dergleichen. Und so brachte er sich selbst das Fliegen bei, ganz im Stile „learning by flying“. Erst absolvierte Harti noch brav sämtliche Pflicht-Flugstunden und erwarb die ofzielle Fluglizenz. Begonnen hatte er zunächst mit dem Drachenfliegen, welches allerdings deutlich aufwendiger in seiner Montage ist; die Gerätschaften sind um ein Vielfaches schwerer1 . Leider ist das Drachenfliegen laut Harti stark zurückgegangen, aufgrund der Leichtigkeit und Praktikabilität der Gleitschirme und dem weniger komplizierten Aufbau2. So flog Harti Waitl bereits im Alter von 22 Jahren im deutschen Nationalteam der Drachenflieger mit und nahm an internationalen Wettbewerben teil, die Weitstreckenflüge mit bis zu 100 km vorsahen. Was damals noch der Fotoapparat übernahm, macht heute modernes GPS-Tracking. Als 1993 die Flugschule schließlich zum Verkauf stand, reagierte der begnadete Drachenflieger schnell und übernahm diese kurzerhand. Damals war die Flugschule noch am Bullachberg beheimatet und nannte sich Flugschule „Aktiv“. Nachdem Harti jede erdenkliche Mark umgedreht hatte, Bürgschaften übernommen wurden, erwarb Harti die Flugschule, die er von da an beachtliche 25 Jahre lang betrieb. Und das erfolgreich bis ins Jahr 2022. 

Trotz jeder Anstrengung zu dieser Zeit bereut der bis heute junggebliebene 58-Jährige diese Entscheidung nicht. Während seiner Fluglehrerausbildung in Ruhpolding assistierte er zunächst nur, unterzog sich vielen Theorieund Praxisprüfungen, bis er schließlich mit der finalen Fluglehrerprüfung abschloss. Damals bot die Schule allerdings ausschließlich das Drachenfliegen an. Aber im Laufe der Zeit verlagerte sich dann der Fokus immer mehr auf das Gleitschirmfliegen. Geflogen ist Harti bereits um den halben Globus: In Österreich, der Schweiz, Italien, Griechenland, über weite Teile Asiens sowie im US-amerikanischen Flachland nahe Miami sowie in Südamerika (Brasilien) und Südafrika. Dort begab er sich auf eine „Flugsafari“, wie Harti es nennt. Von Durban bis nach Knysna, entlang der Südostküste. Klassisch unterwegs im Kübelwagen mit Zwischenstopps für „Aus-Flüge“. Mit einem Schmunzeln berichtet Harti von einem außergewöhnlichen Erlebnis: In Durban befand sich der erste Flugspot; allerdings bestand die Herausforderung darin, dass der Start- zugleich auch Landeplatz war, eine Kehrtwende unumgänglich, wenn die Piloten wieder sicheren Boden unter den Füßen erreichen wollten. Wem das nicht gelang, blieb nur noch ein Dach einer AutobahnMautstelle. Maue Aussichten bei kleiner Landefläche. Andere Landeplätze waren aufgrund der dichten Besiedelung sowie großen Waldflächen nicht gegeben. Ihm blieb nichts anderes, als den „locals“ zu vertrauen. Harti schüttelt noch heute den Kopf darüber und lacht: „Das gibt’s nirgendwo anders auf der Welt!“

Seine Heimat: Sein Hausberg 

Obwohl der Globetrotter schon fast die ganze Welt von oben gesehen hat, bleibt Hartis Lieblings- und Logenplatz der heimische Tegelberg: Ein traumhaft gelegener Berg mit königlicher Kulisse mit bester Aussicht auf die weltbekannten Königsschlösser, eingebettet in die malerische Voralpenlandschaft mit ihren sanften Hügeln und tiefblauen Seen. Der Königswinkel und „sein“ Berg, an dem auch seine Flugschüler das Fliegen erlernten, sind schlichtweg Inbegrife von Heimat für Harti Waitl.